MILCH VON EINER KUH

                  (Ein Märchen für Erwachsene)

­­­ Da auch ich einmal meine Unschuld verlor,

widme ich diese Geschichte den Rindologen in

der Kunstwissenschaft und einem bekannten

leeren Eimer auf dem Bauernhof

Ein neugeborenes Kälbchen war da! Aus dem gemütlichen, halbdunklen Stall heraus erblickte es zum ersten Mal die große strahlende Welt in Form eines Rechtecks mit einem ihm irgendwie vertrauten fleckigen Etwas in der Mitte, das aber rasch verschwand. Und dies war nun nichts anderes als eine weit offene Tür hinaus in einen wunderschönen sonnigen Maitag mit dem Hintern seiner Mutter, die es verließ. Adieu!

Zufrieden war die junge Mutter nicht – sie schlenderte auf dem Bauernhof herum und dachte angestrengt nach: „So geht das Leben öde an mir vorbei – immer im Stall, immer nur im Stall … Bald kommen sie womöglich noch auf die Idee, mich zu melken! Lass sie nur einmal an dich ran, schon wirst du für den Rest deines Lebens nur noch abgemolken …“

Von dem letzten Gedanken wurde der jungen Kuh ganz übel.

„Ja, die Zukunft sieht düster aus … Wäre es nicht gerechter, auch einmal in einem richtigen Haus das Leben zu genießen, zum Beispiel unter einem Kristallleuchter, ohne dass nebenan einer grunzt?“

Sie erreichte das Herrenhaus, steckte ihren neugierigen Kopf in das Fensterloch und stieß mit dem rechten Horn an den Bildschirm des Fernsehgeräts, wo gerade ein Ballett gezeigt wurde.

„Fein, kultiviert, hier wird ja getanzt!“

Sie leckte mit ihrer warmen rauhen Zunge über den Bildschirm.

„Wow, wäre das nicht auch etwas für mich? Sollte ich mich vielleicht mit der Kunst vertraut machen?“

Sie starrte noch einige Zeit fasziniert den Bildschirm an.

„Zum Springen und mit den Beinen Zappeln benötigt man doch kein Abitur!“ 

Bekanntlich leidet ein Hornvieh selten unter einem Mangel an Selbstvertrauen und ist in seinem Handeln äußerst konsequent.

Begeistert von der neuen Perspektive rannte die Kuh in die Hofmitte, stampfte dort kräftig mit beiden Vorderhufen auf, warf mit einem Schwung den Hintern wie einen Sandsack hoch, ließ den Schwanz in Propellergeschwindigkeit kreisen: Tschik! Tschik! Tschik! und bestaunte sich selbst: „Sieh da! Au weia – ein Naturtalent!! Ich tanze, wer sagt‘s denn – und eins und zwei, und eins und zwei! …“

Beschwingt und selbstvergessen keuchte die Kuh quer über den Hof, wie ein entgleisender Güterzug. Der Wind pfiff in ihren Ohren, und eine Staubsäule wirbelte über das glückliche Vieh.

Alles auf dem Hof krachte und bebte, der alte am Zaun stehende Kastenwagen fiel auseinander. Es gab auch weitere Folgen des Kuhballetts auf dem Bauernhof: 

Der erste, der die verstaubte tanzende Kuh erblickte, war der Hofhund. Er winselte auf und verkroch sich in einem Stachelbeerbusch. Sein Fell und die Ohren luden sich vor Entsetzen auf und funkelten mit leichtem elektrischen Knistern …                                                                                          

Hageldicht und steinlaut regneten die Apfelembryonen von den Bäumen – kurz und heftig – dann war Ruhe. Endgültig …

Der Truthahn bekam vor Überraschung einen sehr lauten und hässlichen Schluckauf. Doch zu schlucken und gleichzeitig die aufgeblasene Haltung beizubehalten gelang ihm nicht, und infolge dieser Herz und Seele zerreißenden Anspannung erlitt der Truthahn einen hysterischen Anfall. Seitdem wird er von Persönlichkeitsstörungen heimgesucht, aber das ist wohl eine andere Geschichte …

Eines der Hühner legte vor lauter Schreck ein Gipsei. He, so etwas tut man nicht in einer anständigen Gesellschaft, außer man befindet sich in der von Bildhauern – dort muss man es tun! Schockiert von dem eigenen Werk,  und um allgemeinen Entsetzen zu entkommen, brach das Huhn sogleich mit hochgereckten Beinen auf dem Strohhaufen zusammen …

Der Hahn, welch sensible Natur! Nachdem er in seinem Haushalt Bodenschwankungen und ohnmächtige Hühnerbeine entdeckt hatte, stürzte er mit Geschrei: „Erdbeben!  Apokalypse!“ davon. Er hüpfte ins Holzfass, das voll mit Regenwasser an der Tür stand, krähte gluckend in der trüben Brühe weiter und schlug Wellen der Stärke 6 …

Die weiße Ziege durchbrach mit der Stirn die Bretterwand des Stalls, obwohl die Tür weit offen stand, und verschwand mit dem Drang, bis nach Afrika zu fliehen auf dem Dach des Herrenhauses. Spurlos, wie man erst dachte … Kurz darauf aber sagte der Schornstein ein klagendes „Mä-ä-äh!‚ dann krachte es unten im Ofen einmal kräftig, und gleich stieg über dem Dach eine Rußwolke auf. Der Ruß zog in die Ferne und setzte sich allmählich auf den Nasen der Passanten ab. Man hörte laufend „Sie haben Ruß auf der Nase!“ und „Ach ja? Sie aber auch! Darf ich …?“ Es war ein sehr günstiger Tag für zwischenmenschliche Kontakte. Halt, das ist doch schon wieder eine andere Geschichte …

Und wo war das neugeborene Kälbchen? Erst taumelte es auf seinen schwachen Beinen durch die Bresche der Ziege hinterher. Aber da es keine Geographiekenntnisse besaß, wollte es nicht bis nach Afrika, sondern verirrte sich auf den Nachbarhof, wo es sich zwischen auf der Leine flatternden Bettlaken verhedderte. Und noch lange Zeit danach vertrieben die Dorfbewohner aus ihren Gemüsegärten ein schneeweißes, gestärktes Gespenst, das trotz seiner wissenschaftlich erwiesenen Unmöglichkeit weit und breit den Blumenkohl zertrampelte …

Ach, aber das Schwein! Pfui, so ein Schwein! Einfach – iiih! … Das Schwein, lasst euch den Appetit nicht verderben, hat sich in seiner Panik so was von saumäßig benommen, dass man hinterher gezwungen war, es kräftig mit der Bürste einzuseifen und mit Parfüm zu übergießen! …

Die Hausherrin aber hatte gar nichts gehört, da sie nach sechs Tassen Kaffee tief und fest vor dem Fernseher schlief. Erst als es im Schornstein krachte, wurde sie wach und stellte fest, dass aus dem zerbombten Ofen durch die heiße Asche sehr bekannte Hörner hervorlugten. Die Hörner ließen sich gut greifen, und die Herrin begann, die leicht angegrillte Ziege aus den rauchenden Ziegeln auszuroden, so wie man das mit einem Baumstumpf im Garten macht. Weiß blieben bei der vormals weißen Ziege nur die Zähne und das Weiße der Augen. Das Tier roch nach angebrannter Wolle und wehrte sich mit südlichem Temperament. 

„Da sieh mal einer an! Ungezogene Bande …“, sagte die Hausherrin und schleppte die Afro-Ziege unter die kalte Dusche.

Anschließend ging sie auf den Hof, fischte aus der Regentonne den aufgequollenen Hahn, der seine Stimme schon verloren hatte und bloß noch um sich spuckte, drehte im Hühnerstall seine fallsüchtige Verwandte um und verpasste unterwegs dem Truthahn eine Kopfnuss gegen den Schluckauf. Dann nahm sie einen sauberen Eimer und sprach die Kuh an.

Das Gespräch, das dann zwischen beiden stattfand, verursachte nicht nur einen unglaublichen Wandel im Leben der Kuh, über deren abenteuerliche Aktivitäten wir weiter berichten werden, sondern führte später (so die Kunsthistoriker heute) zu unauslöschbaren Kulturereignissen weit über die Grenzen des Bauernhofs hinaus. Inzwischen sind sie sich auch einig, dass der wahre Gründer der Rindologie in der Kunstwissenschaft ein leerer Eimer aus Blech war. Unbewusst, aber trotzdem…

„Hör endlich auf zu stauben, meine Liebe, und ab in den Stall – Melken ist angesagt. Wir fangen an, da du so viel Kraft übrig hast.“

 „Was denn, was denn?“ wich die außer Schnauf gekommene Kuh zurück.

 „Was denn?“ die Bäuerin schlenkerte mit dem Eimer. “Das denn! Noch Fragen, du Faulpelz?“

 „Ich kann nicht. Und bitte, komm mir mit dem Blech nicht zu nah…“

 „Und wieso nicht?“ staunte die Bäuerin. “Das Euter, guck mal – dick wie ein Zeppelin. Kuh, du fliegst mir bald hoch!“     

Vorsichtshalber wich das Vieh weiterhin Stück um Stück zurück, bis es mit dem Hintern die Zaunnägel verspürte.

„Die Sache ist nämlich so: bei mir gibt es überhaupt nichts zu melken. Ich bin jetzt ein Talent! Gerade entdeckt. Ach, das kam so plötzlich über mich, wie damals, als ich meine Unschuld verlor! Damals war es nur der Bulle. Jetzt – Talent! Damals wurde ich kurz trächtig mit dem Ding da,

jetzt auf ewig – mit der Kunst! Kein Vergleich, was? … Also, ich brauche Ruhe, Sonne, Heu und gute Pflege – du musst mich für die höheren Aufgaben schonen! So, ich bin fertig.“

Da die Herrin schwieg, riskierte die Kuh noch eine kleine Steigerung:          

„Ich habe ja gerade geprobt, meine eigene Choreographie. Schließlich muss ich die doppelte Beinmenge verwenden wie die Würstchen im Fernsehen, und um einen Schwanz bin ich auch reicher. Ich habe mich also einem schöpferischen Prozess hingegeben, da kommst du, mit dem bäuerlichen Denken, und willst der Künstlerin an das Euter… Abzapfen! Bin ich eine Tanksäule, was?!“ 

 „Mich trifft der Schlag“,  sagte endlich die Herrin. „Ehrlich gesagt, ich bin sogar beeindruckt… Aber jetzt los in den Stall, der Eimer ruft – dort werden wir auch mit deinen höheren Aufgaben fertig!“

Da blieb der Kuh nur das Drohen.

 „Weib, ich könnte dein ganzer Stolz sein. Aber wenn du mir so einen Stress machst, und dir deine Milch nicht im Großhandel besorgen kannst, verlasse ich lieber deinen grunzenden und gackernden Mistladen und bewerbe mich in einer Ballettschule, obwohl ich das mit meinem Talent gar nicht nötig habe!“

„Hilfe, du meinst das ja wirklich!“ Die Bäuerin bekam einen langen, saftigen Lachanfall, und der Eimer fiel ihr aus der Hand. Dann schaute sie ernst und fragte: „So wie du da stehst, so latschst du ins Ballett?“

„Nicht so, natürlich, nicht so… Barfuss ist ein bisschen peinlich, barfuss kommen, das gehört sich nicht…“,  stockte plötzlich die träge Kuh, die eigentlich überhaupt von dem Hof nicht weggehen wollte, so satt und gemütlich war ihr es hier.  „Ich würde mich barfuss sogar schämen.  Aber momentan habe ich keine Schuhe und weiß auch nicht, wo ich die besorgen kann…“

Das war eine klasse Ausrede!

Die Kuh wurde ein bisschen frecher und rollte sogar mit dem Huf den liegenden Eimer weiter zur Seite. „Tja, bedauerlicherweise das geht nicht so schnell.“

„Und wann genau wird es gehen?“ Die Frage klang der Kuh zu direkt und zu aufdringlich.

„Wann, Wann!.. Irgendwann… So was darf man doch nicht über das Knie brechen!“ und die Kuh streckte sich im warmen Staub am Zaun aus. „Da werde ich erstmal hier liegen und dem Gedanken sorgfältig nachhängen … Alle Für und Wider abwägen … erfassen…“,  die Kuh gähnte genüsslich und schloss die Augen, murmelnd,  „und immer weiter mir den Kopf machen, was die Schuhebeschaffung betrifft…  Aber das Melken ist natürlich kein Thema mehr. So was brauche ich mir nicht anzuhören!“

„Das wäre dir wohl am liebsten – sich auf die faule Haut legen und wichtig tun, nicht wahr?“ amüsierte sich die Bäuerin, und dann beschloss sie: „Wenn du bei uns so ein Talent bist, dann meinetwegen! Die Schuhe leihe ich dir. Geh und wage es! Sollte aber keine Balletttänzerin aus dir werden und du zurück kommst – dann melke ich dich bis zum Abwinken, klar?!“

Da war nun nichts mehr zu machen. Die Kuh musste ihr angewärmtes Hinterteil hoch bewegen.

Da die Herrin alle ihre Schuhe, die sie nur fand, ausgestellt hatte – wähle doch, es sind genug da! – wurde das Vieh von der Pracht und Fülle fast krank, und seine Augen begannen gierig zu schielen. Oh weh, warum kann man die nicht alle gleichzeitig anziehen! Es besaß aber nur vier Beine und sollte sich endlich entscheiden.

 „Schwe-er…“, atmete die Kuh aus, „soll ich vielleicht von jedem Paar nur einen Schuh nehmen?“ Der Einfall war genial: an das eine Bein – einen Sportschuh mit Klettverschluss, an das andere – einen roten luxuriösen Sommerschuh mit sehr hohem Lackhacken, den dritten Huf

steckte sie in einen glänzenden Gummistiefel und für das vierte Bein wählte die Kuh einen flauschigen Pantoffel mit Keilabsatz. “Alles in Butter! Schick! Es wäre nicht übel, noch auf die beiden Hörner zwei Stück aufzuhacken, aber ich bin ja nicht gierig…“

Eieiei – wurde es kippelig!! Die arme Kuh knickte auf jedem Bein ein und hinkte auf allen vier Seiten. Jedes Bein bekam durch die verschiedenen Absätze seine unabhängige Höhe. Aber mit der richtigen Motivation und positivem Denken ist alles halb so schlimm.

 „Jedes Bein hat es bequem, warum sind sie dann alle zusammen so unbequem?“, staunte die Kuh und machte sich auf dem Weg in die Hauptstadt.

Sie hinkte bis zur Ballettschule und rammte mit dem Horn gegen die Tür. 

„Wer ist da?“ fragte der Direktor und machte dabei auf.

„Eine Kuh.“

 „Danke, kein Bedarf“, sagte der Direktor, “wir kaufen unsere Milch im Tetra Pak.“

„Aber-aber! Feinfühliger bitte, was die Milch betrifft, ich bin doch nicht barfuss“, wies ihn die Kuh zurecht, “ich komme zum Ballett. Nichts zu machen – das Talent verpflichtet!“

 „Ää… das ist, natürlich … das wirft ein ganz anderes Licht auf …“,  der Direktor bekam eine schwere Zunge, schielte auf die Hörner der Besucherin und schwitzte auf der Stelle vor Angst. Retten konnte ihn jetzt nur Diplomatie. Er wurde sehr freundlich: “Sie möchten bestimmt in eine Volkstanzgruppe, nicht wahr? Das sieht man sofort. Jawohl, Sie haben Talent genau in dieser Richtung. So ein Jammer – nicht bei uns, nicht zu uns, ganz andere Adresse! Schade-schade … Alles Gute! Es hat mich sehr gefreut! …“

Mit Diplomatie erreichte er aber keinen Durchbruch. Die Diplomatie ist für eine Kuh wie ‚kuckkuck’ im Wald. Die Kuh bestand weiterhin auf dem klassischen Ballett.

 „Nein, ‚folkloren’ konnte ich auch im Stall. Hier ist der Kristallleuchter sicher kristalliger. Gibt es einen?“

„Ja-aa“, der Direktor war ganz baff und verschluckte einen unsichtbaren Kloß im Hals.

 „Na dann… Dann werden wir auch tanzen!“ besiegelte die Kuh das Gespräch.

Der Direktor gab auf. Seiner Gesundheit zuliebe. Er hatte drei Kinder. Und kurz darauf erschien die Kuh in seiner Begleitung in der Übungshalle zum Tanzunterricht.

„Diese Kuh… ich bitte um Verzeihung für den Ausdruck“, sprach der Direktor die Anwesenden mit unstetem, peinlich berührten Blick an, “…sie kam zu mir, zu uns … ins Ballett. Tja, von meiner Seite habe ich alles… Aber sie – ins Ballett!! Nichts zu machen!“ er rieb sich die Hände, als wüsche er sie in Unschuld. “Willkommen!“, rief er noch und verschwand rasch im Hintergrund.

 „Hihi – die Kuh!“ – „Echt – eine Kuh!“ – „ So eine, pardon, Kuh!“ – „Willkommen! Bitte hereinspaziert“, amüsierten sich die jungen, frisch gehobelten Tänzerinnen. Sie drängten sich in einem Eckchen zusammen und verdrehten die Augen: „Wow halt mich fest! Kann mich jemand mal schnell kneifen?“, „Gott, verzeih mir alles auf einmal!“,  „Aber das Schuhwerk, Schuhwerk! Köstlich!!“, „Und das Euter, gnade! Schau nur  das Euter!“ und anderes ähnlich Übles. Ihre boshaften Reden führten sie aber flüsternd, so, dass die Kuh nichts mitbekam. Die Tänzerinnen waren zwar in der Mehrzahl, doch alle hörnerlos.

 „Mmmu-u-uh-estro“, nickte inzwischen die Kuh dem Pianisten zu, “Mmmu-u-uh-sik!“

Der Klavierspieler, der noch nie mit Kühen verkehrt hatte, zog seinen Kopf tief ein, kniff die Augen zusammen und schlug in die Tasten.

Munter hinkend tanzte die Kuh drauflos, brach unterwegs die Dielen auf und verlor sofort die Schuhe, die in alle Richtungen, wie Querschläger, davonflogen. Nur der glänzende Gummistiefel blieb ihr erhalten – er saß fest.

Der Pantoffel mit Keilabsatz verließ als erster den Raum, er flog mit flottem Kosakenpfiff durch das offene Fenster und schmückte unten das Tulpenbeet.

Der luxuriöse Sommerschuh verfehlte den Direktor, der gerade auf der Flucht war, und bohrte sich mit dem Lackhacken in ein Ölgemälde an der Wand – das Bild stellte einen Herbstwald dar, in den er sich überhaupt nicht fügte. Von der Jahreszeit noch ganz abgesehen.

Der Sportschuh mit Klettverschluss knallte erst gegen die Decke, und auf dem Rückweg verübte er einen Anschlag auf den Klavierspieler; der begann von dem senkrechten Schlag auf das rechte Ohr die Tasten zu verspritzen und drosch dabei bald mit der Geschwindigkeit eines Schnellzuges. Als die Tasten ausgingen, wurde es auf einmal sehr still.

 „Eh, da stimmt etwas nicht…“ – die Kuh bremste in vollem Lauf und das, was sie plötzlich vor sich sah, verblüffte sie – Tableaul Die Tänzerinnen lagen flach die Wand entlang in Ohnmacht, der angeschlagene und verwirrte Pianist stand auf, scharrte sie schweigend mit den Dielenbrettern

auf einen Haufen  und begann, Gott weiß warum, alles zusammen hinter der Tür zu stapeln.

Die linke Hätte seines Gesichts war dunkel im Vergleich zu der rechten – die bestrahlte der schwellende Leuchter des Ohrs.

Der Fußboden sah aus wie nach schwerem Artilleriebeschuss. Es gab keine Zuschauer, nur aus dem riesigen Spiegel glotzte auf die Kuh eine Kuh.

 „So was! So eine Figur: Oh – von vorne, von der Seite auch – Oh…Du da, dreh dich um, zeige dich von hinten!“, die Kuh hatte sich noch nie im Spiegel gesehen. “Oder soll ich das alles sein? Gibt es mich so viel?!“ Sie schaute um sich, aber in der Nähe war sonst niemand mehr.

“Oh je, das mit dem Ballett war offensichtlich ein Fehlgriff…“

So stand sie und war enttäuscht und verzweifelt. Wie Laub im trüben Wasser schwammen In ihren Gedanken die Bilder: der Hof, der Stall, der leere Eimer…        

 „Mmmu-uh…“, brüllte die Kuh in den Spiegel, “Mmmu-u-u-uh! … Mmmu-u-u-u-u-uh!! …“, heulte sie untröstlich. Und auf einmal hörte sie sich zu – ihr „Mmmu-u-u-u-u-u-uh‘   hatte in der leeren schallenden Halle einen Wohlklang und ein Echo!

 „Mein Gott, Ich habe doch eine Stimme, eine echte Stimme: Mmmu-u-u-uh!… Mmma-a-a-a-ah! … Mmmi-i-i-i-ich!… Mmme-e-e-e-eh … Mmmo-o-o-o-oh … und wieder Mmmu-u-u-u-u-u-u-u-uh… –  eine Kraft, eine Macht, eine Sensation!“

Die Kuh brüllte noch ziemlich lange, sammelte dann die weggeflogenen Schuhe ein, fand auch den Pantoffel im Tulpenbeet und hinkte nach Hause, voller Stolz:  „Ah, wenn ich wollte, da könnte ich in der Oper jede Nachtigall übertönen. Und dazu noch das Orchester! Wenn ich nur wollte …“

Sie betrat den Bauernhof sehr gut gelaunt, mit dem Vorgenuss, erst schmackhaft zu speisen, und dann sofort  in die Falle – in den weichen Staub an der Sonne. Ach, wie schön so richtig faulenzen mit lang ausgestreckten Beinen und träumen, träumen, träumen von den eigenen großen Möglichkeiten…

Aber die Wirklichkeit nahm ihren eigenen Lauf. Als die Herrin die am Zaun sich wälzende Kuh erblickte, holte sie sofort den Eimer. „Na, Tänzerin, hast du deinen Hirnschaden schon überstanden? Dann ab in den Stall – melken!“

 „Man kommt hier nie zur Ruhe!“, erwiderte die Kuh gekränkt, sprang aber auf alle Fälle auf.

“In den Stall, in den Stall!  Warum nicht mal zur Abwechslung in die Oper?! Vielleicht ist dort mein wahrer Platz? Vielleicht bin ich gerade dabei, mein vergrabenes Talent auszugraben… Da staunst du, was? Was ich meine? Ich meine – weg endlich mit dem Blech da!“

 „Oh, nicht schon wieder spinnen! … Von deinem Ballett hatte das Schwein so einen Durchfall, dass wir den ganzen Tag die Straße lüften mussten!“

 „Moment…“‚ sagte die Kuh.

 „Von deinem Ballett ist der Hahn schwer seekrank und die verkohlte Ziege plappert ausländisch!“

 „Moment…“‚ sagte die Kuh.

 „Mein armer Hund“, die Bäuerin schlug verzweifelt die Hände über dem Kopf zusammen, „funkelt und steht unter Spannung, ihm fehlt nur eine Glühbirne im Maul!  Was? Nein, Kuh, er hat keine Erdung… Kuh, warum bist du bloß so nutzlos?!“

 „Moment doch mal! . . . Tanzen beiseite – abgesagt. Das war ein Fehler, wer irrt sich nicht schon mal im Leben. Aber ich schwöre, wenn ich in der Oper mal vormuhen könnte, würden die alle Sänger entlassen, ich schwöre! Was für eine Stimme, was für ein hohes Muh-Dur-B-Cis! … Kapierst du überhaupt, wen du melken willst?! Ähem,  hör und schäm dich: Mmmu-u-u-u-uh!  Mmmu-u-u-u-u-u-uh!…“

 „Sofort aufhören! Keine Proben, kein Randalieren neben dem Hühnerstall – die Hühner legen keine Eier mehr! … Kurz und bündig, Kuh, gibst du Milch?“

 „Auf keinen Fall! Lieber gehe ich singen – dort gibt es auch einen Kristallleuchter.“

 „Dann geh! Geh, entweder in die Kunst, oder – in den Stall. Tu endlich etwas!“

„Wie? So auf einmal – und gehen?“ Die Kuh verzog ihr Maul. „Und was ist mit den Arbeitsbedingungen, darf ich fragen? Ich muss mich vorher ‘einstimmen’. Die Oper ist eine sehr ernste Sache! Dort darf man nicht einfach so muhen, dort maß man mit fachlichem Wissen muhen. Ich

brauche also erstens eine Stimmgabel und zweitens – ein Metronom, jawohl… Da ich keines von beiden besitze und auch Null-Vorstellung habe, wie ich diese Dinger beschaffen soll…“‚ die Kuh ließ sich erneut mit routiniertem Schwung in den Staub fallen und schloss die Augen, „bin ich gezwungen, hier weiter zu liegen und stark nachzudenken, wo ich das Zeug auftreiben kann…“

 „Hast du kein Zeug?! Nein, du hast das Zeug!“ erzürnte sich völlig entnervt die Herrin, obwohl sie eine bäuerliche Geduld besaß. “Hier hast du eine Stimmgabel und hier ein Metronom – die Hörner und den Schwanz!“ Und sie schlug mit dem leeren Eimer so klangvoll auf die Kuhhörner, dass es dem liegenden Vieh eine ganze Minute lang im Kopf klirrte. „Na was – es klingt doch? Also, da hast du deine Stimmgabel. Ein Metronom findest du an deinem anderen Ende – da schlottert er, dein Fliegenzerstreuer! … Und unter uns“, die Herrin beugte sich und flüsterte der Kuh direkt ins Ohr, “nehmen sie dich nicht bei der Oper, und du kommst zurück, melke ich dich auseinander. – nach allen Regeln der Kunst!“

Nichts zu machen – die Kuh musste den angewärmten Hintern wieder hoch bewegen und zurück in die Kunst trampeln. Das war ihr doch lieber, als den Rest ihres Lebens in Gesellschaft des Eimers zu verbringen. Die Kuh schleppte sich durch das Tor, brummelnd, „Mal auf-stehen, mal hin-legen… Bin ich ein Steh-auf-Männchen?“ und lenkte ihre Schritte wieder der Hauptstadt zu.

Die ganze lange Strecke nutzte die Kuh zum Üben.

Sie brüllte die Tonleiter rauf und runter und pendelte so mit dem Metronom hin und her, dass sie sich eine wunde Schwiele auf dem Euter aufrieb. Dazu schlug sie mit ihrer Stimmgabel (und ab und zu versehentlich einfach mit dem Schädel) gegen alle Telegraphenmasten unterwegs, wodurch Telegramme, die auch vorher schon schwer zu verstehen waren, noch geheimnisvoller wurden. Von dem Klopfen, dem Klirren in den Ohren und vom eigenen Brüllen wurde sie anschließend endgültig wirr im Kopf.

An diesem Tag wurden folgende seltsame Vorkommnisse registriert:

Alles Lebendige im Umkreis hörte von weitem Krachen und Brüllen unbekannter Herkunft und verlor sich in Vermutungen – man rannte durch die Gegend mit runden Augen, sammelte sich in aufgeregten Grüppchen und fragte sich gegenseitig: „Was ist passiert?“, „Was für ein Krach?“, „Wer schreit so schrecklich?“, „Wer ist gestorben?“, „Sind die Außerirdischen schon da?!“

In den örtlichen Apotheken war sofort der ganze Baldrianvorrat ausverkauft. Einige zu spät gekommene, gereizte Kunden schüttelten die Apotheker und verlangten nach rezeptpflichtigen Beruhigungsmitteln, einfach so. Oder plünderten.

Manche von den hiesigen Kretins hatten vorsichtshalber Gasmasken aufgesetzt und erschreckten mit ihren Gummifratzen Katzen und Minderjährige. Kurzum, alle, die dabei nicht endgültig taub oder irregeworden waren, brachten einen bewegten Tag hinter sich.

Erst am späten Abend schaffte die Kuh es bis zur Oper.

Die Vorstellung war längst zu Ende, und alle Sänger waren schon nach Hause geeilt, wo Tee mit Brezeln auf sie wartete.

In der Oper war nur der Direktor geblieben, um die Kulissen und die Stühle noch einmal durchzuzählen.

Die Kuh stieß mit dem Horn gegen die Tür.

 „Wer ist da?“ fragte der Direktor, machte dabei auf und vertat sich prompt beim Zählen.

 „Eine Kuh.“

 „Danke, kein Bedarf“, sagte der Direktor, “wir kaufen unsere Milch im Tetra Pak.“

 „Ich warne lieber gleich: ich bin eine friedliche Kuh, aber für derartige abgestandene Witze kann ich auch mal“, die Kuh schwenkte ihre Hörner, „mit der Stimmgabel hauen.“

 „Aha, aha…“, er wurde zappelig und wich zurück in Richtung Bühne. “Sie haben eine Stimmgabel? … Das ändert vieles, äh … sehr erfreut! „ Er kniff sich hastig in alle schmerzhaften Körperstellen, bis die Gewissheit kam – die Kuh war rauhe Wirklichkeit. Er kapitulierte.

 „Und auch ein Metronom“, brüstete sich die Kuh. Sie kroch dem Direktor hinterher auf die Bühne und trat zwangsläufig auf seine Hosenbeine. ,, Das Metronom, wohl bemerkt, ist auch angeboren!“ Und sie klopfte mit elegantem Schwanzklaps aus dem Samt des Vorhanges ein Bleiwölkchen heraus. “Ich bin geboren, um zu mmmu-u-uh-sizieren.“

 „Ach, wie freue ich mich für Sie …“,   faselte der erblasste Direktor, der sich schon immer vor stößigen Stimmgabeln sehr geängstigt hatte. Er versuchte mit dem Hintern im Souffleurkasten unterzutauchen, passte aber wegen der Breite des Gesäßes nicht durch. “S-s-sie h-h-haben auch

noch einen D-d-du-dudelsack“, wies er mit zittrigem Finger auf das Euter hin, „und was möchten Sie, wenn ich fragen da-darf, wun-derbare Mus-sik-kuh?“ 

 „Ähem, ich habe eine Stimme…“, sagte die Kuh bescheiden, wie es einem genialen Autodidakten geziemt.     

 „Ach, da-dazu noch eine Stimmei, ach!! …“   Der Direktor war entzückt, und nur der liebe Gott wusste, dass er gleichzeitig in seinem Paralelldenken sich in Gebeten überstürzte.

 „Sehr starke Stimme! Ich habe ja Volumen – ich übertöne hier jede beliebige Nachtigal.“

 „Oh, nein! Übertönen Sie die Nachtigall bi-bitte nichtl … Lassen Sie uns unsere Nachtigal! … Ich flehe Sie an!!“ Und der verzweifelte Operndirektor versuchte den Trick, den alle in die Enge getriebenen Verwalter auf Lager haben – sehr freundlich an andere weiter zu verweisen.

 „Ich weiß, ich weiß, so dumm von mir! … Sie wollen singen? Ja klar – Sie sollen auch singen! In einer Pop- oder Rockgruppe! Das ist leider nicht bei uns, nicht zu uns! Ganz andere Adresse … Aber ich könnte für Sie meine guten Verbindungen spielen lassen. Also wohin: in Pop- oder in Rock?. . .“

War es nicht der gleiche Trick wie in der Ballettschule? 1  Aber bei Hornvieh funktioniert er nicht.

 „Wie bitte?! Mein Pop in Rock? Wenn ich Sie schockiere, okay, ich besorge mir für den Pop einen Rock. Also, zurück zum Thema. Ähem! … „ die Kuh hustete aus, warf sich in eine gespreizte Gesangsposition mit angespanntem und zur Seite ausgestrecktem Schwanz und holte volle Rippen Luft:

„Mmmu-u-u-h“  ‚ begann sie mit aufsteigender Tonfülle, Höhe und Kraft: “Mmmu-u-u-u-u-uhl  Mmmu-u-u-u-u-u-u-u-uh!I …!! 

Das Lämpchen am Dirigentenpult pupste mal kurz und ging aus.

Der Direktor wurde sofort von der Bühne weggepustet – in den dunklen Orchestergraben… „Mmmu-u-u-u-ü-u-u-u-uh!! …“  schallte es über seinem Kopf.       

Im Orchestergraben gelandet, rannte der Direktor auf der Suche nach einem Fluchtweg umher. Unterwegs schützte er seine Brust mit einem Notenständer, stieß gegen Trommeln und Pauke und schmiß die Groß- und Kleinblechblasinstrumente um. Aber er fand keinen Ausgang, da er im Dunklen und im Gepolter die Orientierung endgültig verlor „Mmmu-u-u-u-u-u-u-u-uh!!I   dröhnte es ganz nah. Von irgendwo oben schepperte im Schwanken der riesige Kristallleuchter los…

So ein Pech – der Direktor blieb auf einmal zwischen dem Flügel und der Harfe stecken, und bei dem krampfhaften Versuch, sich zu befreien, kratzte er über die zarten Harfensaiten. „O-o-o-o-o-a-a-a-ah! ..“‚ stöhnte er laut auf, „o-o-o-o-a-a-a-a-ahl 

 „Nur zu! Ich habe nichts dagegen“, erlaubte freundlich die Kuh, senkte die Hörner in den Orchestergraben und atmete dem Direktor feucht und direkt ins Gesicht, “im Duett und mit der Harfe finde ich das Singen noch aufregender!“

In diesem Augenblick erfasste der Direktor in vollem Maße seine Einsamkeit im Angesicht der Natur. Von Angesicht zu Angesicht oder, vielmehr, von eigenem Gesicht zu ihrer Fratze.

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1 Der Trick gehört zum Ausbildungsprogramm für Verwalter aller Art.

Er verspürte ein Jucken im Hirn, und seine Schnürsenkel lösten sich von allein. Das lag daran, dass der Direktor seine Stierkampfkenntnisse ausschließlich aus der Oper „Carmen“ bezog und keinen prinzipiellen Unterschied zwischen einem Bullen und einer Kuh vermutete.

Erschüttert von neuen Empfindungen, pfiff der Direktor sofort sowohl auf die hauseigne Harfe als auch auf seine pazifistischen Überzeugungen und wendete Gewalt an – er löste mit mächtigem Gerolle eine Sturmbrandung geradewegs durch die Harfensaiten aus.        

Endlich befreit aus der Umarmung des Instruments, arbeitete sich der Dicke aus der Orchesterfalle auf die Ebene des Zuschauerraums empor. Hier in der eintönigen Sessellandschaft konnte er noch hoffen, die Spuren zu verwischen und sich zu verdrücken.         

Die Kuh marschierte im massigen Stechschritt in das Parkett, ihm hinterher.

Der Verfolgte lief bis zur Reihe 10, wo er sofort auf den Bauch federte und im engen Zwischenraum der Sessel, wie ein Soldat im Schützengraben, zum ersehnten „Notausgang“ robbte.

 „Wohin?! Wir haben uns doch so gut eingesungen!“ Die Kuh war aufrichtig enttäuscht, sie folgte dem Direktor auf den Fersen und schnupperte an seinen wegkriechenden Markenschuhsohlen.

Der Direktor blickte immer wieder abgehetzt zurück und brummte nur:: „Wer am Bo-boden liegt, den schlägt man nicht … wer am Bo-boden liegt…“

 „Klären wir endlich unsere Beziehung, Kollege. In Dur, heiter!“, beharrte mit der Aufdringlichkeit einer verlassenen Konkubine stur die Kuh.

Sie bekam keine Antwort, da der Verwaltungsmann sich ganz deutlich erinnerte, dass er an diesem Tag einen knallroten Slip angezogen hatte, der Rindvieh rasch in Zorn versetzen konnte. Obwohl der rote Slip nicht zu sehen war, begann er zu brennen und verpasste dem Direktor eine Beschleunigung, die auf einem Manöver als Spitzenleistung angerechnet werden könnte.

 „Aber waru-u-u-u-um??!“ brüllte gellend die außer sich geratene Kuh auf.

Auf dieses schreckliche „Waru-u-u-u-um??!“ antwortete mit mächtigem Flaschengeklirre der Kristallleuchter, und etwas von oben versetzte der Kuh einen wuchtigen Schlag auf den Kopf: „Uff! …“  Von dem plötzlichen Gewicht versagten ihr die Knie. Sie bog sich zu einer Seite und blickte durch Kristallanhängsel in die Welt. „Jetzt bin ich endlich unter dem Kristallleuchter, buchstäblich! …“

Der Riesenopernleuchter, der sich etwas schief auf die Hörner aufstülpt hatte, verlieh der Kuh auf der Stelle ein keckes Auftreten. Sie torkelte auf knarrenden Gelenken den engen Gang entlang und sah nicht weniger aufregend aus als ein in der Hafentaverne versackter Seemann: „Beim ersten Mal da tut’s noch weh…!“

Dieses wunderschöne Ereignis lenkte sie von dem Direktor ab, und er schaffte es, den Rest des Ganges mit seinem Bauch bis zur Tür ungestört und wohlbehalten auszufegen. Dort brach er in Lachen und Tränen zugleich aus und verschwand aus dem Blickfeld der Kuh. Für immer!

Sobald die Kuh endlich Standfestigkeit auf den auseinander gespreizten Gliedmaßen zurück gewann, versuchte sie die unter dem Gewicht des Leuchters zusammengequetschten Gedanken wieder zu entfalten.

 „Da stimmt wieder etwas nicht, oder? Ich glaube, er hat geweint und lauthals gelacht … Zuerst zappelte und krümmte er sich, dann wälzte er sich auf dem Boden und anschließend – dieses homerische Gelächter! … Das hat etwas an sich …  Aber was?“

Da ging der Kuh ein Licht auf: “Ist es vielleicht möglich, dass ich so komisch bin? … Ich hab’s: ich bin komisch, ich bin drollig, ich bin witzig! Ich kann einen bis zu Krämpfen und Koliken, bis zum auf allen Vieren Kriechen, bis zur Hysterie bringen! .. Alles vor Lachen! Oh Gott, ein komisches Talent – so eine seltene Gabe! Wer hätte das vermutet?! Sieh da – die Kuh!!“, und sie beschloss, unter den Gesang auf der Stelle

einen Schlussstrich zu ziehen.

„Vorhang!“ sagte sie stolz und unabhängig, “Singt euch eure Duette selber.“

Es war nur zu schade, sich von dem Leuchter zu trennen. Aber erstens wusste die äußerst ehrliche Kuh, dass der Kristallleuchter Operneigentum war, und zweitens war er sehr schwer und passte trotz aller Mühe ganz und gar nicht (so ein Mist!) durch die Tür. Deshalb verließ die Kuh das Opernhaus unbeschwert und mit reinem Gewissen.

Der Direktor schaffte es inzwischen bis zum Telefon. Er war nicht taub und nicht verrückt geworden, er bekam auch keinen Herzinfarkt weil er schon lange an der Oper tätig war, wo er täglich taub, verrückt werden und einen Herzinfarkt bekommen könnte. Der Direktor war nur nicht immun gegen auf die Bühne drängendes Großvieh.

Mit der unbiegsamen Zunge, die sich wie nach einer Betäubung beim Zahnarzt anfühlte, versuchte er die Feuerwehr zu bestellen, aber konnte nur „Bu-bu“   aussprechen, sonst wäre die Kuh dem kalten Wasser aus der Löschkanone nicht entkommen.

Erst früh am Morgen erreichte die Kuh ihr Dorf und betrat den Hof. Sie legte sich auf ihren Lieblingsplatz am Zaun, wo von ihrem ständigen Wälzen nicht einmal mehr Unkraut wuchs.

„Heiliger Strohsack, wie viel doch in mir steckt!“, sie gähnte herzhaft und selbstzufrieden. “Alles kann man aber nicht realisieren, ab und zu muss einer auch leben…“ Die Kuh streckte sich lang aus und begann kräftig zu schnarchen.

 „Na, Sängerin, dann wollen wir mal! Komm her“, klopfte die Herrin auf den Eimer.

Die Kuh zuckte zusammen, fand plötzlich, anstatt eines rosigen Traumes, die ihr zum Halse heraushängende Herrin vor und spuckte        

ärgerlich in den Staub aus.

„Wohin?“ fragte sie frech, die gekränkte Unschuld spielend. Sie wusste ganz genau ‚wohin’, hoffte aber noch, dass das Unglück an ihr vorübergehe. Sie erinnerte sich an ihre komische Gabe, schnitt eine wilde Grimasse und zwinkerte der Bäuerin zu.

Diese aber krümmte sich keineswegs vor Lachen und sagte stattdessen mit matter Stimme, „Es bringt doch gar nichts, mit mir zu kokettieren. Das Euter hängt schon herunter, und noch kein Tröpfchen Milch von dir!“

 „Wer sagte ‘Euter‘? Was für ein hässliches Wort! Das ist ein Dudelsack, du ungebildetes Weib. In der Oper wurde es von kompetenten Leuten bestätigt…  ‚Euter!’ “

„Meinetwegen. Dann werden wir jetzt gleich in den Stall gehen und den Dudelsack spielen. Also?“

„Ich muss sehr bitten, die Hände vom Instrument fernzuhalten.  Lass dich lieber zum Lachen bringen. In der Oper – das war so ein ‘Bumsi-Bums‘ mit dem Leuchter, du lachst dich tot! Der Opernboss kroch da vor Lachen auf allen Vieren … Haha!!“

Und um ihr schauspielerisches Talent zu präsentieren, erhob sich die Komikerin. Da kein Kristallleuchter in der Nähe lag, musste sie improvisieren, und gabelte mit einem Horn den Eimer auf. „Pass auf … Ich bin jetzt ein Glockenturm…“, und sie schüttelte kräftig mit dem Kopf, „…jetzt wird geläutet  Na, bin ich komisch? Nein? … Das muss am blöden Eimer liegen, er inspiriert mich nicht…“

 „Du bist wirklich eine Witzfigur“, sagte die Herrin traurig und ratlos, “ich kriege Zustände mit dir…“

In diesem Moment kam hinter dem Schuppen der depressive Truthahn hervor. Kaum hatte er die Kuh erblickt, machte er sich bereit zum Schlucken.

 „Du, Truthahn, komm mal her“, rief ihn die Kuh und donnerte mit dem aufgestülpten Eimer, „soll ich dir einen Witz erzählen?“

Daraufhin schluckte der Truthahn einmal laut. Die Kuh war geschmeichelt, “Und was sagst du jetzt, Weib? Der Bursche amüsiert sich schon, obwohl ich noch gar nicht losgelegt habe. So ist sie, die komische Gabe!“

 „Ich glaube“, folgte die Bäuerin ihren eigenen Gedanken, „es wäre nicht verkehrt, dich mal ordentlich zu verdreschen.“ Sie griff sich aus den Schuppen eine Rute: „Es ist soweit, sonst werden wir kein Ende unserer eigenen Comedyreihe erleben…“, und ging mit den Worten “Kuh, jetzt kommt die letzte Folge! …“ auf die Schauspielerin zu.

Das war nicht mehr witzig. Mit der Rute war nicht zu spaßen. Das Vieh sprang zur Seite.

„Einverstanden! Goldig! Ich danke dir für die Idee! Eine Comedy,  genau! Der Pop in Rock und – ins Filmgeschäft, ins Kinobusiness!..

Ich gehe. Sofort. Ich bin schon weg!“

Sie machte ein paar Schritte zum Tor … „Aber wo soll das sein…?“

Obwohl die Frage eher rhetorisch war, bekam sie eine Antwort.

„Brauchst nur um die Ecke“, schrie eins von den im Stall Iauschenden Viechern hilfsbereit hinter ihr her, “die drehen im Dort gerade einen Film!“ Der Tipp kam ihr sehr gelegen.

 „Merci!“ brüllte die junge Komikerin und verschwand um die Ecke: „Da jagt mich keiner mit einem Eimer!“

Es stimmte – dort wurde tatsächlich ein Film gedreht, und überall wurde diverse Kinotechnik aufgestellt. Man rannte, hastete, lärmte, pinselte die Kulissen, fluchte durch das Megaphon. Aber es gab keine Tür! Wogegen soll man mit dem Horn schmettern? Wer war hier der Boss?

Die Kuh ging dann zu einem, der am meisten das Wasser trübte und Unruhe stiftete, donnerte mit dem Eimer auf dem Horn:

„Bist du hier der Boss? Wer bist du denn?“

„Regisseur“, sagte der Regisseur.

„Und ich – eine Kuh. Ich komme zur Filmaufnahme!“

„Eine Kuh?“ freute sich der Regisseur. „Sehr gut, sogar ausgezeichnet! Wir suchen gerade eine, wir brauchen sehr dringend eine Kuh! Eine Kuh ist hier unbedingt nötig!“

„Habt ihr auch einen Kristallleuchter?“

„Jegliches hat seine Zeit  ‚ sagte der Regisseur nachdenklich und führte das glückliche Vieh zum Set.

 „In mir ist dieses gewisse Etwas, dieses Komische von Kindheit an drin gewesen, keiner hat es vermutet, aber die Wahrheit kommt doch an den Tag!“

Sie stellten die Kuh mitten ins Bild, zielten mit der Kamera auf sie und riefen: „Kinogen! … Okay, es kann losgehen!“

Sofort begann die Kuh Grimassen in die Kamera zu schneiden und mit dem Eimer auf dem Horn zu läuten.

 „Der Eimer – nicht auf dem richtigen Platz, “ schrie der Regisseur, “nimmt bitte mal jemand den Eimer ab?“

 „Ich kann auch tanzen und singen!“ bot die begeisterte Kuh an.

 „Danke, kein Bedarf! Verhalten Sie sich bitte natürlich“, befahl das Megaphon, “bleiben Sie ‚sie selbst’ – eine

Kuh. Jung und echt! … Verdammt, wie lange soll ich noch bitten, nehmt ihr den Eimer ab! Das ist keine Produktion – das ist ein Saftladen!!“ 

Dann näherte sich der Kuh eine sehr berühmte Schauspielerin: „ Wenn Sie gestatten…?“, fragte sie und nahm ihr den Eimer vom Horn.

„Behalten Sie ihn ruhig, Kollegin“, erlaubte großzügig die Kuh mit dem Ton einer Dame von Welt, „er passt bestimmt besser zu Ihrem Gesicht!“

Die Schauspielerin setzte sich aber den Eimer nicht auf, sondern bewegte sich mit ihm zum Kuheuter.

„Ruhe!“ sagte das Megaphon. „Wir drehen gleich Szene sieben – , ‚Das Melken“. Melken Sie bitte! … Klappe eins – u-u-und – Action!!“

 „Wen? Wen melken?! Wen denn?!!“, die Kuh schaute fassungslos um sich, stellte plötzlich fest, dass das Szenebild genau so aussah wie ihr eigener Stall. “Mi-i-ich?! Hi-i-i-ilfe!!“ rief sie und stürzte durch frisch angemalte Bretter und teure Technik weg vom Aufnahmeort…

 „Was … war … es …?“ die berühmte Schauspielerin, die ein ganzes halbes Jahr lang das Melken an einer Gummiattrappe fleißig geübt hatte, fasste sich ans Herz, „Gott, wer verrät mir, was-es-war? …“ Vor ihren Augen lag anstatt des Eimers ein zerbeulter Blechfladen, und das dicke Euter war auf fantastische Weise verschwunden.

„Ich vermute, es war eine Kuh“,  sagte zögerlich der Regisseur; “auf jeden Fall hat es sich so vorgestellt…“

„Ich bin mir nicht so sicher“, mischte sich der Kameramann ein, “ich glaube, es war ein Mustang. Von der Geschwindigkeit her müsste es hinhauen!“

„Wer weiß … Ich war schon ewig nicht mehr auf dem Lande und kann mich kaum erinnern“, sagte der Regisseur, „ich kaufe meine Milch im Tetra Pak.“

Eine Stunde lang liefen die verschwitzten Filmleute hin und her durch Bauernhöfe, bis sie endlich eine passende, nämlich ruhige und bescheidene Dorfkuh fanden. Diese Kuh war zwar nicht so vielseitig und geniaI wie unsere weggelaufene, aber dafür mischte sie sich nicht in Gespräche ein. Szene sieben, wo es um das Melken einer Kuh ging, wurde störungsfrei abgedreht. Damit war die ganze Aufregung zu Ende.

Aber das Entlaufen der Kuh hatte ein übles Nachspiel. Sie kam nie mehr nach Hause zurück – entweder fürchtete sie sich vor der Rute, oder sie hatte einen neuen Glauben erworben. Auf jeden Fall tauchte sie seitdem oft in der Stadt auf.

Sie wurde zum Beispiel in großen Galerien bei Vernissagen und Kunstversteigerungen gesehen. Dort bot sie den eingeschüchterten Galeristen immer dasselbe oder zumindest verdächtigt gleich aussehende Bild in ca. 8 qm an (kleinlich war sie nie!). Das Gemälde war mit dem Schwanz bunt-auf-bunt gepinselt und stets mit der verwischten Spur des linken Hinterhufes signiert. Es hatte immer irgendwie anspruchsvolle Titel, etwa: „Schöpfung“ oder „Credo“. Das Bild ist uns vertraut, wir haben es alle schon irgendwo gesehen.

Die Kuh wurde auch in Schriftstellerverbänden und Verlagen durch ihr autobiographisches Poem in der Länge einer Tapetenrolle bekannt. Diese Tapetenrolle rollte die Autorin durch verschiedene literarische Korridore mit der von der Tinte blauen Zunge aus. Das Poem hieß „Persönlichkeit und Eimer“, und fing etwas mitleidheischend an:

Kein Platz an der Sonne fürs Vieh!!

Man wollte mich melken, und wie!!!

– ging noch verflixt lange weiter und hatte allerlei Ausrufungszeichen; zwischen denen griff die Dichterin erst Eimer als ein Zwangssymbol an, dann ging sie über auf Persönlichkeiten und wurde stellenweise so persönlich, dass manche es sogar beleidigend und skandalös fanden… Deshalb bieten wir dieses Viehwerk hier nicht an. Aber enden tat die Tapetenrolle sehr optimistisch:

Im Schädel ‚ oh je – so ein Dunst!

Im Schädel, oh weh – eine Leere!

Doch schaff ich trotz allem in Kunst

mit Hörnern die große Karriere!!!!!!!!

Darunter stand die fette Unterschrift: ‚DIE KUH’, was einige für einen ausgefallenen Künstlernamen hielten. Auf der anderen Seite der Tapetenrolle lief eine unendliche Wiederholung des fahlen Druckbildes von Farnblättern in Altrosa.

Nach den Kuhbesuchen hatten die Galeristen und Verleger alle Münder und Hände voll zu tun, um die Ordnung wiederherzustellen. Sie richteten ihre Fußböden, rückten ihre Leuchter zurecht und sortierten Krankmeldungen ihrer Mitarbeiter.

Es verbreitet sich derzeitig das Gerücht, dass die Kuh permanent die öffentlichen Fernsehanstalten anstößt; sie lässt sich aber nicht fangen – ist verwildert! Besonders sind die Türen des Unterhaltungsbereichs beschädigt, was natürlich eine nachteilige Wirkung auf die Qualität der Sendungen hat.

Deshalb müssen wir auch gerecht bleiben – wenn das Fernsehen verzweifelt versucht uns zu belustigen, wir aber mit starrem Holzblick dabei einschlummern: In diesem Fall kann nur die Kuh schuldig sein!

Da die Kuh auch weiterhin eine zutiefst merkliche Spur im Kultur- und Kunstleben hinterlässt, wird sie allmählich schon zum Gesprächsthema.

Um das skandalöse Phänomen der Rindologie gründlich an seiner Quelle zu recherchieren, wird der Korrespondent der Tageszeitung „Bei uns im Stall“, Herr Blaberer, in ihr Heimatdorf geschickt. Herr Blabarer leitet in diesem hoch angesehenen Blatt die Rubrik „Wir leben doch nicht im Stall!“ und interviewt die Besitzerin der entlaufenen Kuh.

Die Bäuerin teilt ihm die uns schon bekannte Geschichte mit und äußert die Hoffnung, dass der Kuh, dieser Teufelsbrut, irgendwann einmal die Luft ausgeht und sie wieder in ihrem Stall landet.

 „Aber das wird auch nichts bringen“, schlenkert sie mit dem Eimer, „man kriegt von ihr sowieso keine Milch! Die Milch ist sicherlich schon hinüber von all dem Gerenne!“

 „Sauer geworden?“ präzisiert Herr Blaberer und fügt vertraulich hinzu: “Ich, ehrlich gesagt, habe diesbezüglich wenig Ahnung. Ich, wissen Sie, kaufe meine Milch im Tetra Pak. So eine Papptüte rennt zwar nicht, trotzdem wird die Milch darin manchmal sauer!“

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«Moлоко от коровы» – 1986, Berlin

Übersetzung aus dem Russischen durch die Autorin selbst – 1999, Berlin

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